Innerhalb von 5,5 Minuten gingen Waren im Wert von einer halben Milliarde US-Dollar über die virtuelle Ladentheke. Diesen Onlinehandel-Rekord und damit das weltweit umsatzstärkste Online-Shopping-Ereignis erzielte Alibaba. Dieser Coup gelang dem chinesischen E-Commerce-Konzern am 11.11.2016, dem traditionellen chinesischen „Singles’ Day“. Mit immensen Rabatten hatte der Online-Shopping-Riese Millionen kauffreudige Chinesen auf seine Handelsplattformen gelockt. Den einheimischen Markt hat Alibaba damit längst erobert. Nun nimmt das Unternehmen Kurs auf Europa und die USA. Die bevorstehende Übernahme eines US-Zahlungsabwicklers und die Planung eines Logistikzentrums in Bulgarien für den europäischen Markt markieren die ersten Meilensteine.
Alibaba.com ist eine Handels- und Kommunikationsplattform für B2B-Unternehmen, beheimatet in der Volksrepublik China. Das Handelsunternehmen gehört zur Alibaba Group und erwirtschaftet 85% des Konzernumsatzes mit „E-Commerce in China”. Es betreibt einen Marktplatz, über den Käufer und Verkäufer zusammengeführt werden, vergleichbar mit eBay oder Amazon. Die Plattform verknüpft Produzenten aus der Region mit Händlern auf der ganzen Welt. Schätzungen zufolge verfügt Alibaba über mehr als 53 Millionen Kunden aus über 240 Ländern und Regionen. Vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen nutzen den Marktplatz für den Handel in asiatischen Ländern. In Europa ist das Handelsunternehmen bisher vor allem beim Import aus China von Bedeutung.
Alibaba-Chef Jack Ma hat gemäß öffentlicher Aussagen große Pläne. Der fernöstliche Markt ist ihm zu klein. Er ist bestrebt, seine Online-Plattform zu einem echten Weltkonzern zu formen. Die Vorzeichen stehen gut.
Wenn es ums Bezahlen geht, kommt Alibaba den gesteckten Zielen schon nahe. Der asiatische Internet-Riese hat mit Alipay – ähnlich wie eBay mit PayPal – seinen eigenen Bezahldienst entwickelt und in China etabliert. Dieser wird bereits von mehr als einer halben Milliarde Kunden genutzt, was in etwa so vielen Menschen entspricht, wie die gesamte Europäische Union Einwohner zählt. Das Prozedere von Alipay ist einfach. Der Käufer zückt beim Bezahlvorgang sein Smartphone und scannt den Barcode des Produktes. Bezahlt. Die komfortable Methode funktioniert auch in herkömmlichen Geschäften und befähigt so manchen Chinesen dazu, kein Bargeld mehr mit sich zu führen.
Bei Rossmann zahlt man mit Alipay – wenn man Chinese ist
Obwohl Alibaba bis dato noch gar nicht wirklich nach Europa expandiert hat, sein Bezahlsystem hat bereits bei uns Einzug gehalten: In Deutschland lässt sich in sämtlichen Rossmann-Filialen mit Alipay bezahlen. Dieser Service richtet sich jedoch vorerst nur an chinesische Touristen. Zeigt der Bezahldienst Erfolg und etabliert sich auch in anderen Geschäften, soll er auch für deutsche Kunden angeboten werden. Alibaba-Chef Jack Ma plant, dass Alipay bald in ganz Europa und auf dem heiß umkämpften Markt in den USA Fuß fasst.
Wie geht es in puncto USA voran? Seit 2015 bündelt Alibaba seine Payment-Geschäfte unter dem Namen Ant Financial Services. Mit Alipay hat das Unternehmen etwa die Hälfte des chinesischen Online-Payment-Marktes inne. Jetzt ist Ant Financial bestrebt, den Finanzdienstleister Moneygram zu übernehmen. Das Unternehmen aus den USA gilt als der weltweit zweitgrößte Anbieter von Geldüberweisungen. Die US-Behörden müssen der Übernahme aber noch zustimmen. Das „Committee on Foreign Investment in the United States“ prüft die Bedenken von US-Kongress-Abgeordneten, dass ausländische Investitionen einen potenziell negativen Einfluss auf die nationale Sicherheit der USA nehmen könnten.
eBay besaß in China 2003 einen Marktanteil von 85 Prozent, bevor der chinesische E-Commerce-Konzern dem US-Giganten hier den Rang ablief. Nun verkündet Alibaba die Expansion in den USA. eBay ist gewarnt: Alibaba als Mutterkonzern ist in China mit seinen Handelsplattformen Taobao und Tmall groß geworden. Während Taobao ein riesig dimensioniertes Internetkaufhaus für Kleinanbieter darstellt, in dem sich nahezu jeder vorstellbare Konsumartikel erwerben lässt, bietet Tmall Unternehmenskunden eine Plattform. Mit diesen beiden Diensten erwirtschaftet Alibaba mehr Umsatz als Amazon und eBay zusammen – und das weltweit.
Alibaba ist in Südostasien nahezu konkurrenzlos. Der Online-Versandhändler Amazon forciert den Wettstreit mit dem südostasiatischen Marktführer aktuell (noch) nicht. Laut Online-Nachrichtenportal „TechCrunch“ verschiebt Amazon die Expansion nach Südostasien. Die Region ist der am schnellsten wachsende E-Commerce-Markt der Welt. Nach Expertenmeinungen ist in Südostasien der nächste E-Commerce-Boom zu erwarten: Durch die junge Bevölkerung mit hoher Online-Affinität, dem voranschreitenden Netzausbau, einem stark wachsenden Bruttoinlandsprodukt, einem ausgereiften Zugang zu Bezahldiensten und der geringen Verbreitung von traditionellen Einzelhandelsläden entsteht ein riesiger, stetig wachsender Markt.
„Europa, öffne dich!“
Alibaba befindet sich auf Expansionskurs und hat dabei auch den europäischen Markt im Visier. Die Handelsbeziehungen zwischen Europa und China waren schon im Mittelalter eng. Über die sagenumwobene Seidenstraße gelangten Waren und Güter nach Europa. Heute genügt ein Mausklick. Der chinesische E-Commerce-Anbieter verhandelt mit der bulgarischen Regierung über die Errichtung eines Versandzentrums für den gesamten europäischen Markt. Sollte das Logistikzentrum gebaut werden, können von dort Waren in den gesamten EU-Raum versendet werden. Bislang wurden die Alibaba-Kunden in Europa aus China beliefert. Durch ein eigenes Versandzentrum in Europa könnte der Konzern den Bestellvorgang beschleunigen und Kunden die Abwicklung von Zollformalitäten ersparen.
Mit seinem steigenden Engagement in Europa könnte Alibaba langfristig starke Konkurrenz für Amazon und eBay darstellen. Was derzeit noch wie ein fernes Märchen anmutet, könnte dann als Erfolgsgeschichte in Europa weitergeschrieben werden.